Wo die BettlerInnen wohnen

Tagsüber sitzen sie in der Fußgängerzone. Nachts schlafen sie in Abbruchhäusern oder in Zelten neben der Autobahn. Bis sie vertrieben werden. Eine Spurensuche in Linz.

Die Polizei kam in der Früh, um das «Bettlerhaus» in Linz zu räumen. Mit dabei Stadtwache, Rotes Kreuz, Jugendamt, SozialarbeiterInnen. Allesamt Profis, doch die Zustände in dem abbruchreifen Haus schockierten selbst die Abgebrühtesten. Mitten in Linz stießen sie auf Wohnverhältnisse, wie man sie in Europa eigentlich nicht mehr kennt. Kein Strom, kein Wasser, keine Heizung. Die Notdurft wurde einfach in zwei der Zimmer verrichtet. Der Gestank war nur schwer auszuhalten, lebten dort doch an die 100 Menschen ein halbes Jahr. Immer wieder kam es zu Konflikten zwischen den BewohnerInnen, die meist aus Rumänien und der Slowakei stammten.

Unter ihnen auch die sechsköpfige Familie T., sichtlich darum bemüht, ihren vier Kindern trotz der Umstände ein wenig Normalität zu bieten. Die Betten waren überzogen, Tischtücher und Blumen zierten die spärlichen Möbel, Zeichnungen die Wände. Günstig war es nicht, denn sie zahlten 5 Euro pro Person und Nacht. Wegen der katastrophalen hygienischen Zustände wurde der Vermieter verhaftet und das Haus behördlich versiegelt. Für die Stadt ein gelöstes Problem. Für Familie T. Der Verlust ihres Zuhauses. Sie mussten ihr Hab und Gut zurücklassen und wurden einfach auf die Straße gesetzt.

Ganze Familien fallen durch das soziale Netz

Das war vor zweieinhalb Jahren. Auf die Räumung folgte ein Katz- und Maus-Spiel mit Polizei und Stadtwache, das bis heute anhält. Die Armutsreisenden zelten unter Brücken und auf brachliegendem Gelände. Sie schlafen in Parks und öffentlichen Toiletten. Sie dringen nachts in leere Abbruchhäuser ein und bleiben so lange dort, bis sie entdeckt und vertrieben werden.

Geräumte Häuser werden versiegelt oder sogar abgerissen. Doch die Menschen haben keine Alternative, denn zur Notschlafstelle und Wärmestube haben sie keinen Zutritt. Dabei sind es nicht viele. Kaum mehr als 150 dürften sich über das Jahr verteilt in Linz aufhalten. Sie kommen, weil sie in ihrer Heimat keine Perspektive sehen.

Von 10 Euro Tageslohn können sie in Rumänien nicht überleben

Wie viele Armutsreisende stammt Familie T. aus dem Westen Rumäniens, aus dem ehemaligen Kronstadt, heute Brasov mit 250.000 EinwohnerInnen. Sie leben dort in einem kleinen Haus aus Lehm und Ziegel, das die gelernte Maurerin T. über Jahre mit ihrem Mann gebaut hat. Es ist nicht verputzt, für Strom und Wasser hat das Geld nicht gereicht. Sieben Personen drängen sich in zwei Zimmern, den dritten Raum bewohnt der älteste Sohn mit seiner vierköpfigen Familie. Als Toilette dient eine Grube im Garten mit einem Holzzaun als Sichtschutz. Und doch gehört Familie T. zu den Privilegierten. Sie wohnen in keinem Roma-Dorf, sondern in einer verhältnismäßig guten Wohngegend, die besser situierten rumänischen Nachbarn helfen manchmal mit Essen aus.

Vor allem aber sind sie gesund und damit mobil. Seit vier Jahren verbringen sie deshalb die meiste Zeit in Linz und halten sich mit Betteln über Wasser. Hier können sie an einem guten Tag 30 – 50 Euro verdienen, in Rumänien dagegen nur 10 – zu wenig, um die ganze Familie durchzubringen. Die Kinder sind dabei, weil die Großeltern zu alt sind, um sich um sie zu kümmern.

Manchmal bleibt auch im Winter nur das Zelt

Ihre erste Nacht in Österreich verbrachte Familie T. In einem Zelt neben der Linzer Autobahn. Wird es kälter, versuchen sie in Abbruchhäusern unterzukommen. Das klappt nicht immer, und so schliefen sie auch schon in klirrend kalten Winternächten im Zelt. Um herauszufinden, welche Häuser leer sind, beobachten sie diese länger und öffnen die Tür erst, wenn sie ganz sicher sind, allein zu sein. Aus Angst vor Entdeckung gehen sie nur bei Dunkelheit hinein. Möbel haben sie keine, lediglich ein paar Decken von der Caritas. Oft teilt sich die Familie das Haus mit anderen Armutsreisenden, manchmal kommen auch einheimische Junkies vorbei. Diese versucht man wegzuschicken, um Probleme mit der Polizei zu vermeiden. Ansonsten ist der Kontakt zu österreichischen Obdachlosen höflich, wenn auch distanziert. Manche helfen ihnen sogar. Trotz der Vorsicht dauert es selten länger als ein paar Wochen, bis sie entdeckt und vertrieben werden.

Ihre größte Sorge sind Krankheiten. Das jüngste Kind leidet gerade unter einer Augenentzündung und kann, mangels Versicherung, lediglich mit rezeptfreien Medikamenten aus der Apotheke versorgt werden. Derzeit zeltet Familie T. im Industriegebiet. 10 Zelte stehen dort, zwei davon gehören ihnen. Es ist ungemütlich, aber sie können schlafen. Untertags sind sie sowieso nie dort, schließlich müssen sie zu Geld kommen. Trotz der Ratten ist der Platz besser als andere, denn zumindest gibt es einen Fluss in der Nähe, wo sie sich notdürftig waschen können. Das geht sonst nur in öffentlichen WC-Anlagen.

Die nächste Räumung ist aber auch hier nur eine Frage der Zeit. Wirklich aggressiv ist die Polizei dabei nicht, dennoch kommt es vor, dass Zelte aufgeschlitzt, von Hunden durchwühlt und beschlagnahmt werden, inklusive allem, was die BettlerInnen nicht bei sich tragen. Ist die Räumung vorbei, beginnt die Suche nach einem Quartier für die Nacht von Neuem.

Niemand will mit dieser Armut konfrontiert werden

Wie Familie T. geht es vielen Armutsreisenden. Dennoch ist die Obdachlosigkeit nicht ihr größtes Problem. Es sind die Bettelverbote, die ihnen ihre Existenzgrundlage entziehen, zu hohen Strafen und sogar Gefängnisaufenthalten führen und ihr Leben noch schwerer machen, als es ohnehin schon ist. Sie sind Opfer eines «negativen Standortwettbewerbs», in dem Kommunen einander mit immer neuen Schikanen überbieten, um möglichst unattraktiv für Armutsreisende zu werden.

Familie T. hat trotzdem noch nicht aufgegeben. Es sind ganz konkrete Ziele, die sie jeden Tag aufs Neue motivieren: Ein Sohn ist gehörlos, sie sparen, um eines Tages die notwendige Operation finanzieren zu können. Und sie hoffen weiter: auf Arbeit, Schule und eine reguläre Bleibe. Schön wären drei oder vier Zimmer. Ein Bad. Strom und Wasser.

Bild oben: So stellen sich die Kinder der Famlie T. ihr Traumhaus vor.

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Diese Reportage von Christian Diabl und Michaela Haunold ist erstmals in der Ausgabe 01.2015 der „liga“, dem Magazin der Österreichischen Liga für Menschenrechte (liga.or.at) sowie in der Ausgabe 155 der KUPFzeitung, Zeitung der Kulturplattform Oberösterreich (http://www.kupf.at/medien/zeitung), erschienen.