Eine Kartei über Menschen die betteln

Stilles Betteln ist ein verfassungsmäßig garantiertes Recht. Oberösterreich könnte aber einen Weg gefunden haben, es zu verweigern.

Seit April hat Oberösterreich eine eigene Datenbank für Bettler­Innen. Darin können laut Landesregierung ab sofort alle bettelnden Menschen mit ihren persönlichen Daten und einem Foto erfasst werden, egal ob sie eine erlaubte oder eine unerlaubte Form des Bettelns ausüben. Mit der Datenbank sollen sogenannte „gewerbliche“ BettlerInnen identifiziert und überführt werden. „Gewerbliches Betteln“ liegt laut Begleittext des Gesetzes unter anderem dann vor, „wenn das Betteln geplant, regelmäßig, also wiederholt oder in Wiederholungsabsicht“ betrieben wird, auch wenn es sich dabei um stilles und somit legales Betteln handelt. Wird das Gesetz wirklich so angewendet, hätte Oberösterreich de facto etwas durchgesetzt, was der Verfassungsgerichtshof in anderen Bundesländern bislang immer aufgehoben hat: ein absolutes Bettelverbot und damit ein wirksames Instrument zur Verdrängung von osteuropäischen Armutsreisenden. Das verschärfte Bettelverbot könnte der traurige Höhepunkt einer jahrelangen Entwicklung sein, in der der Spielraum für legales Betteln sukzessive eingeschränkt wurde. Die Maßnahmen richten sich gezielt gegen Menschen aus Osteuropa, die auf der Suche nach Arbeit hierher kommen, aber meist keine andere Möglichkeit haben, als zu betteln. Es ist eine Art „negativer Standortwettbewerb“ im Gange, in dem die größeren Städte versuchen, die Rahmenbedingungen für Armutsreisende immer unattraktiver zu gestalten – in der Hoffnung, sie dadurch fernzuhalten. Denn ihre Anwesenheit wird als störend empfunden, konfrontieren sie doch die Bevölkerung mit einer Art von Armut, die bei uns längst in Vergessenheit geraten ist.

Ignoranz als Nährboden politischer Hetze

Doch anstatt sich mit den sozialen und gesellschaftlichen Hintergründen wie Diskriminierung und Verelendung in den Heimatländern auseinanderzusetzen, wird den BettlerInnen jegliche Legitimität abgesprochen. Sie werden einer ominösen „Bettelmafia“ zugerechnet und Hilfe für sie mit bestenfalls naiver Unterstützung krimineller Strukturen gleichgesetzt. Bis heute gibt es in Oberösterreich keine wissenschaftliche Untersuchung des Phänomens, keinen Dialog mit den Betroffenen und nur rudimentäre Hilfsangebote von privaten Organisationen. Diese Ignoranz bildet den Nährboden für die politische und mediale Hetze und den diskursiven Rahmen für immer neue gesetzliche Verschärfungen. Den Anfang machte 2011 das erste Bettelverbot, das aggressives, aufdringliches und organisiertes Betteln sowie das Betteln mit Kindern unter Strafe stellte. Beschlossen wurde es mit den Stimmen von ÖVP und FPÖ. Der gewünschte Effekt, nämlich die Vertreibung der BettlerInnen, trat aber nicht ein. Denn gleichzeitig mit dem Verbot der oben genannten Formen des Bettelns, wurde stilles Betteln erstmals ausdrücklich erlaubt. Zuvor fiel Betteln unter das Sammlungsgesetzt, wonach sich jede/r BettlerIn – so wie andere SpendensammlerInnen auch – eine Erlaubnis vom Magistrat hätte holen müssen. In der Realität kam das kaum vor und die Stadt hatte damit jederzeit die Möglichkeit einzugreifen. An der ohnehin geringen Zahl von BettlerInnen änderte sich durch das Verbot wenig, auch weil die Polizei keine Freude mit dem schwammig formulierten Gesetz hatte und sich mit Strafen anfangs zurückhielt. Das änderte sich erst, als der von der FPÖ forcierte Ordnungsdienst der Stadt Linz (Stadtwache) mit der Überwachung beauftragt wurde. Seitdem wird deutlich mehr gestraft und die Ersatzfreiheitsstrafen häufen sich. Trotzdem wird weiter gebettelt, sehr zum Ärger von Rechtsparteien und Boulevardmedien.

Kniefall vor der Kronen Zeitung

Im Mai 2014 folgte dann der Paukenschlag. Mit einer beispiellosen Hetzkampagne brachte die Kronen Zeitung das Betteln wieder auf die politische Agenda zurück. An zehn Tagen hintereinander machte das Kleinformat unglaubliche neun Mal mit dem Thema auf und forderte vehement ein entschiedeneres Vorgehen gegen die „Bettelbanden“. Objektiven Anlass dafür gab es keinen, denn selbst die Polizei gab öffentlich an, dass sich an der Zahl der Armutsreisenden in Linz nichts geändert hat. Fakten spielten jedoch keine Rolle, die Politik gab dem Druck nach und kündigte eine weitere Verschärfung des Bettelverbots an.

Besonders brisant: Die SPÖ, die 2011 noch gegen das erste Bettelverbot gestimmt und es sogar juristisch bekämpft hatte, änderte quasi über Nacht ihre Meinung und brachte selbst den neuen Gesetzesentwurf ein – sehr zum Missfallen vieler GenossInnen, die darüber ebenso schockiert waren, wie kirchliche und soziale Hilfsorganisationen. Das Gesetz wurde trotzdem beschlossen und seit September 2014 ist nun auch „gewerbliches“ Betteln verboten. Bei strenger Auslegung gibt es damit für Armutsreisende keine Möglichkeit mehr, legal zu betteln. Es ist zu befürchten, dass das Beispiel Schule machen wird und auch jene Bundesländer diese Hintertür nutzen werden, deren absolutes Bettelverbot vom Verfassungsgerichtshof gekippt wurde. Salzburg dürfte schon bald nachziehen und ebenfalls eine Datenbank einführen, in die Menschen eingetragen werden, weil sie betteln.

Dieser Artikel von Christian Diabl ist erstmals in der Printausgabe 71 der malmoe erschienen.                   > malmoe.org/artikel/widersprechen/3015