Nachgefragt: Sozialwissenschafter Heinz Schoibl zum sektoralen Bettelverbot in Salzburg und den Widerstand dagegen.

Heinz Schoibl ist freiberuflicher Sozialpsychologe aus Salzburg und hat mit der Studie „Notreisende und Bettel-MigrantInnen in Salzburg“ eine der ersten Untersuchungen zum Thema vorgelegt. Für das Projekt „Auf Augenhöhe“ hat er Notreisende in Salzburg portraitiert, wie hier zu sehen. Wir haben ihn zur aktuellen Lage in Salzburg befragt.

Seit Anfang Juni gibt es ein sektorales Bettelverbot in großen Teilen der Salzburger Innenstadt. Welche Formen von Betteln sind genau verboten?

HS: Im innerstädtischen Bereich rund um die Getreidegasse, die beiden zentralen Brücken und im Kommunalfriedhof gilt während der Geschäftszeiten ein dauerhaftes totales Bettelverbot, das auch das stille Betteln unter Strafe stellt. Temporäre Bettelverbote gibt es zudem für die Wochenmärkte am Mirabellplatz sowie am Gelände der Salzburg Mitte.

Wie wirkt sich das Verbot bislang auf die Lage der Armutsreisenden aus?

HS: Die Auswirkungen auf die bettelnden Notreisenden sind bis dato eher bescheiden und liegen eher auf der emotionalen Ebene der Verunsicherung, der Angst vor Vertreibung sowie dem Bewusstsein, dass sie nicht willkommen sind.

Wie viele Menschen sind davon betroffen und wo kommen sie her?

HS: Aktuell befinden sich durchschnittlich 150 Notreisende in Salzburg, von denen etwa die Hälfte ihren Broterwerb durch Betteln bestreitet. Das heißt etwa 75 Personen sind davon betroffen, dass sie in jenen Zonen der Stadt, die als Tourismusschneisen bekannt und sehr frequentiert sind, mit Strafen rechnen müssen, sofern sie hier untertags die Hand / den Becher aufhalten. Die weiteren Notreisenden bemühen sich entweder um Gelegenheitsarbeiten oder verkaufen Straßenzeitungen, sind also gewissermaßen als prekäre Selbstständige aktiv und vom sektoralen Bettelverbot nicht unmittelbar betroffen.

Gibt es auch sozialpolitische Maßnahmen, wie Hilfs- und Versorgungsangebote?

HS: Die sozialpolitischen Maßnahmen zur Regelung der offenen Fragen rund um Armutsmigration und den Aufenthalt von Notreisenden in Salzburg sind nach wie vor denkbar bescheiden. Stadt und Land haben sich auf die finanzielle Förderung eines kleinen Maßnahmenpakets verständigt, das sich im Wesentlichen auf Angebote der Basisversorgung für einen Teil der anwesenden Notreisenden beschränkt. Dazu gehören 50 Schlafplätze, Streetwork und Sachkosten für die mobile medizinische Versorgung. Weiters unterstützt die Stadt mit einer finanziellen Förderung Deutschkurse für VerkäuferInnen der Salzburger Straßenzeitung. Die Hilfeangebote für Notreisende werden von caritativen Organisationen getragen, zu einem guten Teil über ehrenamtliche Mitarbeit ermöglicht und zum Teil mit öffentlichen Geldern gefördert.

Wie erklären Sie sich den Meinungsumschwung der SPÖ beim sektoralen Bettelverbot?

HS: Der Meinungsumschwung der SPÖ wird von den SP-MandatarInnen damit begründet, dass in den letzten Wochen die Beschwerden aus der Salzburger Öffentlichkeit und der Innenstadt-Kaufleute stark zugenommen haben. Es gab gewissermaßen Handlungsbedarf. Tatsächlich gibt es jedoch für die gewählte Form der Intervention in der Form eines sektoralen Bettelverbots kein nachvollziehbares rationales Argument.

Welche Aktivitäten gibt es in Salzburg gegen das Bettelverbot?

HS: Die Aktivitäten gegen das sektorale Bettelverbot werden von zivilgesellschaftlichen Initiativen wie der Plattform gegen Bettelverbot, der Facebook-Gruppe „Nein zur Hetze gegen BettlerInnen“ koordiniert. Politische Unterstützung gibt es auch von Seiten der Bürgerliste, die sich vehement gegen das sektorale Bettelverbot ausgesprochen hat. Weiters gibt es einen Rechtshilfefonds, der aus Erlösen von Flohmärkten und Benefiz-Aktionen gespeist wird. Die Mittel sind zweckgewidmet für Rechtshilfe, -beratung und rechtliche Vertretung von Notreisenden in allen Verfahren rund um das aktuelle Bettelverbot (insbesondere in Bezug auf den Vorwurf des organisierten Bettelns). Spezifische Initiativen zur rechtlichen Beeinspruchung des sektoralen Bettelverbots (Beschwerde beim VFGH) sind aktuell in Vorbereitung.

Der zivilgesellschaftliche Zusammenschluss von UnterstützerInnen der Notreisenden sowie von sozial- und armutspolitischen Maßnahmen ist in Salzburg gut aufgestellt und aktuell auf zwei Ebenen angesiedelt. Das ist zum einen die Plattform „Armut hat Platz“, an der auch die Träger von sozialpolitischen Angeboten beteiligt sind und die sich allem voran um Aspekte des politischen Diskurses sowie der Öffentlichkeit annimmt. Zum anderen koordiniert die Plattform Menschenrechte weitergehende Angebote wie etwa die Verwaltung des Rechtshilfefonds.

Danke für das Gespräch!

2 Kommentare zu “Nachgefragt: Sozialwissenschafter Heinz Schoibl zum sektoralen Bettelverbot in Salzburg und den Widerstand dagegen.

  1. Mich würde interessieren, ob es wirklich keine Hintermänner gibt, die den Bettelnden das Geld – oder zumindest einen Teil – abnehmen. Irgendwie ist das alles noch immer nicht ganz klar und führt zur Verunsicherung in der Bevölkerung! Allerdings, die hier sitzen und betteln, sind sicher bitterarm, darum gebe
    ich immer etwas. Aber ich möchte auch nicht, dass andere abkassieren und sich daran bereichern.

    • Sehr geehrte Frau Gehmacher. Es hat in Wien bislang drei dokumentierte Fälle gegeben, wo schwerstbehinderte Bettler ausgebeutet wurden. Allerdings stand da nicht die vielzitierte Mafia dahinter, sondern Einzelpersonen: einmal war es die Ehefrau, einmal ein anderer Bettler, einmal ein Ehepaar, die den Bettlern (in allen drei Fällen waren es Männer) das Geld abnahmen und ihn zum Betteln nötigten. Es gab auch Verurteilungen in diesen Fällen.
      In der Regel betteln Menschen aber für sich selbst bzw. um ihre Familien zu unterstützen. Am häufigsten ist es die Polizei, die BettlerInnen das Geld abnimmt. Uns liegen viele Berichte und Strafverfügungen vor, wo dokumentiert ist, dass die Polizei den BettlerInnen das Geld abnimmt, weil sie angibt, dass das Geld aufgrund strafbaren Verhaltens (so genannten gewerbsmäßigen Bettelns z.B. erworben wurde.) Die BettelLobbyWien beeinsprucht häufig solche Strafverfügungen, etwa 80% gewinnen wir und können den BettlerInnen auch das Geld wieder zurück geben.

      Der allergrößte Teil der Medienberichte über die so genannte Bettelmafia fußt auf Vorurteile und Gerüchte. Wir von der BettelLobby haben immer wieder mal nachrecherchiert. Hier finden Sie eine Auswahl:
      https://www.bettellobby.at/wien/nachgefragt/?where=wien

      BettelLobbyWien

Für diesen Eintrag sind die Kommentare geschlossen.